Hier fällt zunächst auf, dass dieses Gedicht aus genau 200 Buchstaben und 50 Wörtern besteht (dabei wurde in Zeile 10 „ist’s“ als zwei Wörter gezählt, weil das apostrophierte „’s“ das Wort ‚es‘ ersetzt). Dass in einem Gedicht die Anzahl der Wörter und zugleich der Buchstaben Vielfache von Zehn sind, kommt so gut wie nie vor, außer es wird so konstruiert. Die Zahl Zehn ist zusätzlich noch dadurch hervorgehoben, dass der Zahlenwert der rechten Hälfte genau 30 beträgt und in den ersten fünf sowie in den letzten vier Zeilen die Silbenzahl jeweils 20 beträgt; fünf der aufgezählten Summen haben die Quersumme Zehn. Beachtenswert ist auch die Häufigkeit von 37 und 73. Denn das sind ‚heilige Zahlen‘. Für die Zahl Sieben gilt das schon im Altertum; in biblischer Tradition kommt hinzu, dass die Zehn Gebote aufgeteilt sind in drei Gebote, die Gott, und sieben, die die Menschen betreffen. Aber nicht nur Drei und Sieben sind deshalb ‚heilig‘, sondern auch ihre Verbindungen 37 und 73. Da vielfach auch heute noch davon ausgegangen wird, die ganze „Hexenküche“ sei ein von Goethe gewollter „Unsinn“ und Siegfried Streller vermutlich auch so dachte, konnte auch er mit seinen wichtigen Beobachtungen nicht mehr anfangen als sie biographisch auf Goethes Verhältnis zu Charlotte von Stein zu beziehen. Man kann also sagen, dass das Außergewöhnliche dieser Zahlenverhältnisse das „Hexeneinmaleins“ als etwas Bedeutendes hervorhebt. Um dieser Bedeutung näher zu kommen, werde ich jetzt versuchen, die Rechenanweisung dieses Textes auszuführen. Dabei ist zunächst zu klären, wie sich das dreimalige mach’ der Hexe ausführen lässt. Am einfachsten ist es, wenn man so verfährt, wie man es früher in der Schule gelernt hat und wie es in Campes Wörterbuch steht: „Zwei und zwei macht vier, gibt vier.“ Demnach muss man, wenn man aus Zwei Vier ‚machen‛ will, zu Zwei die Differenz von Vier und Zwei, nämlich Zwei, hinzufügen. Das heißt, um die Anweisung Aus Eins mach’ Zehn auszuführen, ist es nicht nötig, Eins mit Zehn zu multiplizieren, ihr also eine Null anzuhängen, sondern viel ‚natürlicher‛ ist es, zu Eins die Zahl Neun hinzuzufügen. Eine weitere Frage, die beantwortet sein muss, betrifft Und Drei mach’ gleich. Denn gleich kann sich auf die erste oder die zweite Anweisung beziehen. Es auf die erste Anweisung zu beziehen ist sinnvoller, weil diese ebenfalls das mach’ enthält. Drei mach’ gleich heißt dann: gleich wie die Eins, ergänze sie ebenfalls zu Zehn. Zu Fünf und Sechs müssen wir jeweils Zwei hinzufügen, um sie zu Sieben bzw. Acht zu ‚machen‛. Als nächstes ist zu klären, wie man bei laß gehn verfährt. Ebenfalls in Campes Wörterbuch heißt es, „Gehen lassen“ bedeute, „etwas nicht zurückhalten, ihm kein Hindernis in den Weg legen“. Man lässt also eine Zahl gehn, indem man sie so lässt, wie sie ist. Schließlich ist die Vier, die man ‚verlieren‘ soll, für die ganze Rechenoperation ‚verloren‘, also verschwunden. Wendet man dies an, ergibt sich:
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