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 Zum "Hexeneinmaleins" in Goethes "Faust"

Zum Hexeneinmaleins in Goethes „Faust“

Was ist das Schwerste von allem? Was dir das Leichteste dünket,
     Mit den Augen zu sehn, was vor den Augen dir liegt. (Goethe / Schiller)

Das „Hexeneinmaleins“ in Goethes „Faust“ hat schon viele Menschen angeregt, dieses Rätsel zu lösen. Oft werden ziemlich abenteuerliche Gedankengänge angeboten. Ich will nun zeigen, dass das „Hexeneinmaleins“ schon einiges von seiner Bedeutung verrät, wenn man es ‚objektiv‘ betrachtet.
    Der Literaturwissenschaftler Siegfried Streller hat solche Beobachtungen zusam- mengestellt; ich habe die Tabelle nur unwesentlich verändert:

Hexeneinmaleins 1

Hier fällt zunächst auf, dass dieses Gedicht aus genau 200 Buchstaben und 50 Wörtern besteht (dabei wurde in Zeile 10 „ist’s“ als zwei Wörter gezählt, weil das apostrophierte „’s“ das Wort ‚es‘ ersetzt). Dass in einem Gedicht die Anzahl der Wörter und zugleich der Buchstaben Vielfache von Zehn sind, kommt so gut wie nie vor, außer es wird so konstruiert. Die Zahl Zehn ist zusätzlich noch dadurch hervorgehoben, dass der Zahlenwert der rechten Hälfte genau 30 beträgt und in den ersten fünf sowie in den letzten vier Zeilen die Silbenzahl jeweils 20 beträgt; fünf der aufgezählten Summen haben die Quersumme Zehn. 
   Beachtenswert ist auch die Häufigkeit von 37 und 73. Denn das sind ‚heilige Zahlen‘. Für die Zahl Sieben gilt das schon im Altertum; in biblischer Tradition kommt hinzu, dass die Zehn Gebote aufgeteilt sind in drei Gebote, die Gott, und sieben, die die Menschen betreffen. Aber nicht nur Drei und Sieben sind deshalb ‚heilig‘, sondern auch ihre Verbindungen 37 und 73. Da vielfach auch heute noch davon ausgegangen wird, die ganze „Hexenküche“ sei ein von Goethe gewollter „Unsinn“ und Siegfried Streller vermutlich auch so dachte, konnte auch er mit seinen wichtigen Beobachtungen nicht mehr anfangen als sie biographisch auf Goethes Verhältnis zu Charlotte von Stein zu beziehen.
    Man kann also sagen, dass das Außergewöhnliche dieser Zahlenverhältnisse das „Hexeneinmaleins“ als etwas Bedeutendes hervorhebt. Um dieser Bedeutung näher zu kommen, werde ich jetzt versuchen, die Rechenanweisung dieses Textes auszuführen. Dabei ist zunächst zu klären, wie sich das dreimalige mach’ der Hexe ausführen lässt.
    Am einfachsten ist es, wenn man so verfährt, wie man es früher in der Schule gelernt hat und wie es in Campes Wörterbuch steht: „Zwei und zwei macht vier, gibt vier.“ Demnach muss man, wenn man aus Zwei Vier ‚machen‛ will, zu Zwei die Differenz von Vier und Zwei, nämlich Zwei, hinzufügen. Das heißt, um die Anweisung Aus Eins mach’ Zehn auszuführen, ist es nicht nötig, Eins mit Zehn zu multiplizieren, ihr also eine Null anzuhängen, sondern viel ‚natürlicher‛ ist es, zu Eins die Zahl Neun hinzuzufügen.
   
Eine weitere Frage, die beantwortet sein muss, betrifft Und Drei mach’ gleich. Denn gleich kann sich auf die erste oder die zweite Anweisung beziehen. Es auf die erste Anweisung zu beziehen ist sinnvoller, weil diese ebenfalls das
mach’ enthält. Drei mach’ gleich heißt dann: gleich wie die Eins, ergänze sie ebenfalls zu Zehn. Zu Fünf und Sechs müssen wir jeweils Zwei hinzufügen, um sie zu Sieben bzw. Acht zu ‚machen‛.
    Als nächstes ist zu klären, wie man bei laß gehn verfährt. Ebenfalls in Campes Wörterbuch heißt es, „Gehen lassen“ bedeute, „etwas nicht zurückhalten, ihm kein Hindernis in den Weg legen“. Man lässt also eine Zahl
gehn, indem man sie so lässt, wie sie ist.
    Schließlich ist die
Vier, die man ‚verlieren‘ soll, für die ganze Rechenoperation ‚verloren‘, also verschwunden. Wendet man dies an, ergibt sich:

Hexeneinmaleins 2

Dieses Ergebnis entspricht einigen ‚Summen‛ des Hexen-Einmal-Eins. Zu klären sind nun die beiden Zeilen: Und Neun ist Eins / Und Zehn ist keins. Wie man sieht, ist die Neun in der Aufstellung dieser Rechnung nur einmal, und die Zehn keinmal aufgeführt.
    Nicht so eindeutig lässt sich bestimmen, warum man nach der dritten Anweisung
reich sein soll. Vielleicht weil hier zur Ziffer 3 die Ziffer 7 ‚erscheint‛, aus beiden Ziffern ist die Endsumme der Rechnung gebildet.
    Nun lässt sich Folgendes bedenken: Die Zahl 37 kann deshalb als ‚heilig‛ gelten, weil die Ziffer 3 nicht als 30, also als Zehner, sondern als 3, also als Einer, gelesen wird und sich so auf die drei ersten Gebote beziehen lässt. Umgekehrt kann man versuchsweise die Ziffern 5 und 7 als 50 und 70, also als Zehner, lesen. Liest man die jeweils nebeneinander gestellten
Fünf und Sechs als 56 bzw. die nebeneinander gestellten Sieben und Acht als 78, so dass 56 mit 22 zu 78 zu ‚machen‛ ist, dann führt die Rechnung des Hexeneinmaleins zu folgendem Ergebnis:

     1 + 9 + 2 + 3 + 7 + 0 + 56 + 22 = 100

    Auf die Zahl 22 ist schon mit So bist du reich hingewiesen; denn an dieser Stelle beträgt die  Summe 22.

Ohne außergewöhnliche Rechenkunststücke kam die Potenz der Zahl Zehn zum Vorschein.
    Fasst man die Ergebnisse zusammen, ergibt sich:

    - Zehn ist die Grundlage des Hexen-Einmal-Eins, angedeutet durch die  erste Aufgabe: Aus Eins mach’ Zehn;
    - Zehn ergibt sich in fünffacher Weise als Quersumme;
    - Zehn erscheint in der zweiten Potenz als 100;
    - die Potenz von Zehn kommt verdoppelt (200 Buchstaben) und halbiert (50 Wörter) vor;
    - die Bedeutung der Summanden 7 und 3 wird angezeigt durch die Bemerkung
    So bist du reich an der Stelle, wo 3 durch 7 zur Zehn ergänzt werden soll;
    - möglicherweise wird die Zehn dadurch hervorgehoben, dass  in der zehnten Zeile So ist’s vollbracht  steht.

Damit ist über die wesentliche Bedeutung des Hexeneinmaleins in Goethes „Faust“ noch nichts gesagt. Sie wird dargestellt in meinem Buch:
                                                  „Faustische Welt“.

 

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